Das   Nassauische Marmorwerk in Villmar an der Lahn

© Lydia Aumüller

Die Nassauischen Marmorwerke im Jahr 1886

Lahnmarmor aus Villmar ist heute in Gestalt von repräsentativen Gebäuden und Kunstwerken in aller Welt zu finden. Die weite Verbreitung des Steins wäre ohne die Industrialisierung, die im 19. Jahrhundert auch das Lahntal erreichte, nicht denkbar gewesen. In dieser Epoche entwickelten sich größere Firmen, die ihre Steinbrüche und Werkstätten mit Maschinenkraft betrieben.

Die neuen Maschinen brachten in Villmar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Wende. Sie erleichterten die Knochenarbeit in den Brüchen und Werkstätten etwas, ermöglichten eine höhere Produktion, hatten aber einen Nachteil: Sie kosteten viel Geld, das war aber in den einheimischen Steinbearbeitungsbetrieben rar. Der "steinreiche" Gutsbesitzer Salomon Marix aus Eltville nutzte die Gelegenheit zur Gründung der ersten maschinell betriebenen Fabrik in Villmar. Marix soll  Betreiber  des Wiesbadener Spielkasinos gewesen sein und brachte, wie im Volksmund heute noch verlautet, sackweise das Geld per Kutsche in seine "Residenz" nach Eltville.

Er entschloss sich, in Villmar eine durch Wasserkraft maschinell betriebene Marmorfabrik auf der linken Lahnseite zu errichten. Damit wurde er den Steinmetzbetrieben vor Ort zum größten Konkurrenten. Im Dezember 1864 erwarb er eine Jahrhunderte alte Mahl- und Ölmühle mit den dazu gehörenden Wohn-, Stallungs- und Scheunengebäuden sowie 18 Grundstücken nahe der gemeindeeigenen Steinbrüche in der "Oberau" rechts der Lahn für insgesamt 55 000 Gulden. Die günstige Nutzung der vorhandenen, durch Wasserkraft getriebenen Räder der alten Mühle, ein arbeitsloses Potenzial an Fach- und Hilfskräften in Villmar und Umgebung sowie die Nähe der gemeindeeigenen Marmorsteinbrüche waren Ausschlag gebend für die Investitionen. Salomon Marix ließ 1865 ein  zweistöckiges Fabrikgebäude errichten. Es war 43 Meter lang und führte den Namen "Nassauische Marmorwerke" in großen Lettern auf der Lahnseite. Außerdem baute er zu der vorhandenen Wohnanlage ein Backhaus.

Bereits im Dezember 1865 verkaufte Marix die Gebäude- und Liegenschaften an ( seinen Schwiegersohn ?) Julius Luville und dessen Ehefrau Emma geborene Marix in Lyon sowie sechs weitere Teilhaber für 25 000 Gulden. Unter den Teilhabern befand sich auch der Elementarlehrer Heinrich Batton, der die Vertragsverhandlungen in Wiesbaden führte. Heinrich Batton wohnte mit seiner Familie seit August 1861 in Villmar, wo er als Verwalter der Bergbau-Gesellschaft "Aurora" fungierte. Bis zu seinem Tod 1911 stand er der neuen Fabrik als Direktor und einige Jahre als Eigentümer vor.

Im Februar 1867 wurde an der Fabrik eine weitere Werkstätte in Betrieb genommen. Die erwirtschaftete Rendite kann nicht so groß gewesen sein, denn am 6. Dezember 1867 übernahm die "Societé Franco-Allemande pour Exploitation des Carrieres de Marbre de VILLMAR s. Lahn Nassau" (Franz.-Deutsche Gesellschaft zum Abbau der Marmorsteinbrüche von Villmar an der Lahn) das Werk. Um den "Nassauischen Marmor", so wurde der Lahnmarmor genannt, besser vermarkten zu können, gab man ihm wohlklingende Namen wie "Bongard" für das grau und rosa-bunte oder "Unica" für das dunkel- bis hellrote Gestein.

1870 schmückten die Arbeiter des Werkes die Villmarer Pfarrkirche mit dem heute noch vorhandenen Marmorfußboden. Das Antependium des Hochaltares erhielt eine Marmorverkleidung. Zwei kunstvoll aus Marmor gedrehte Kerzenständer flankierten die Marmorstufen zum Hochaltar.

Das Marmorwerk hatte viele Besitzer 

 Bereits 1867 übernahm eine deutsch-französische Gesellschaft mit Sitz in Frankreich den Industriebetrieb. Der nächste Wechsel kam im April 1873. Damals ging das Werk an die "Deutsche Bausteinindustrie" in Köln über. Die Gesellschaft ließ die vorhandene Werkstatt vergrößern, eine Stein-Schneiderei und eine großen Lagerraum einrichten. Die technische Ausstattung war für die Zeit beachtlich: Neun größere und kleinere Sägegatter, drei Tranchiersägen, eine Schleifmaschine, zwei Poliermaschinen, neun Drehbänke und eine Bohrmaschine standen zur Verfügung. Das Unternehmen beschäftigte rund 120 Arbeiter.

In dieser Zeit fertigte das Marmorwerk das Grabmal für Kaiser Lothar I. in der St.-Salvator-Basilika in Prüm. Kaiser Lothar I., ein Enkel Karls des Großen, regierte von 817 bis 855. Im September 855 klopfte der vom Alter gezeichnete Kaiser an der Pforte des Klosters Prüm, um Mönch zu werden. Er bestimmte die Abteikirche als seine letzte Ruhestätte. Schon nach sechs Tagen ereilte ihn der Tod. Fortan ruhten seine Gebeine in einem Hochgrab. Später wurde es geplündert und nach Bränden aus der Kirche entfernt.
Die Gebeine Kaiser Lothars fand man 1861 beim Abbruch des Altares zusammen mit weiteren Reliquien in zwei Behältern neben dem Altar. Der damalige Dekan und Ehrendomherr der Kirche, Peter Christa (1855-1898), ließ in Villmar einen Sarkophag aus schwarzem einheimischen Marmor und weißem italienischen "Carrara" anfertigen. Am 21. April 1875 fand die feierliche Beisetzung der Reliquien Kaiser Lothar I. in der neuen Ruhestätte statt.

In Villmar kam es zum erneuten Besitzwechsel des Marmorwerks. Im September 1878 wurde der bisherige Direktor Heinrich Batton der neue Eigentümer der gesamten Werksanlage.  85.000 Mark zahlte er dafür. Batton hatte Schwierigkeiten mit der Konkurrenz. 1881 richtete er an den Königlichen Minister für Handel und Verkehr in Wiesbaden die Bitte, seinen Einfluss auf die Marmorfabrik in Diez geltend zu machen.

Die Fabrik in Diez könne ihre Waren zu Schleuderpreisen anbieten, weil den dort arbeitenden Zuchthäusler ein Lohn von 60 bis 70 Pfennigen pro Kopf und Tag gezahlt werde, beklagte Batton. Die Arbeiter in Villmar erhielten aber 2,50 bis fünf Mark am Tag. Einige kleine Werkstätten vor Ort wie Stilger und Meuser hätten darum ihr Geschäft aufgeben müssen, andere qualifizierte Fachkräfte seien nach Amerika ausgewandert.

Nächster Eigentümer des Werkes wurde Victor Mayer aus Limburg, der den Betrieb 1885 an die Holländer Carl Conen und Hendrik Brunier veräußerte. Nach Auflösung der Personen-Gesellschaft zeichnet am 7. Mai 1886 Carl Conen aus Heugelow, Provinz Gelderlande, Holland, als alleiniger Besitzer der Nassauischen Marmorwerke verantwortlich. Ein erhaltenes Schreiben vom 25. August 1887 wirbt mit der modernen Werksanlagen an der Lahn: "Eigene Marmorbrüche in 18 verschiedenen Sorten und Farben. Sägerei, Schleif-, Polier- und Bohrmaschinen und Dreherei durch 120 Pferdewasserkraft. Rohblöcke und Platten jeder Dimension. Ausländischer Marmor und Granit. Anfertigung aller vorkommenden Marmorarbeiten für Möbel-, Bau- und Kunstgewerbe. Telegramme: Marmorwerke, Villmar."

Bereits am 20. August 1888 gingen die gesamten Anlagen in den Besitz der Berliner Firma M.L. Schleicher über, die 1889 in der Villmarer Pfarrkirche die beiden Nebenaltäre mit Marmor verkleidete und im Chorraum Kommunionbänke aus mehrfarbigem Marmor errichtete. Als Geschenk stifteten die Arbeiter und Beamten des Nassauischen Marmorwerkes ein kunstvoll bleiverglastes Fenster mit biblischer Szene aus dem Leben des Heiligen Paulus, das links im Inneren der Kirche angebracht wurde. Das übrige Geschäft lief anscheinend nicht besonders gut. 1892 meldete das Werk Konkurs an.

Die Modernisierung verhalf dem Marmorwerk zu Großaufträgen

 In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts gingen die Geschäfte nicht besonders gut für die "Nassauischen Marmorwerke". Im Jahre 1892, gerade 27 Jahre nach seiner Gründung, meldete das Werk Konkurs an und wurde von der Firma Dyckerhoff & Neumann mit Sitz in Wetzlar übernommen. 152.250 Mark nebst einer noch vorhandenen Hypothek von Carl Conen in Höhe von 100 000 Mark war den neuen Herren das Werk wert.

Von der Marmorschleiferei zum Kunsthandwerk

Dyckerhoff & Neumann war 1879 von dem 28-jährigen Adolf Neumann in Wetzlar als Marmorschleiferei gegründet worden mit Niederlassungen in Hamburg, im Odenwald und in Berlin. Später kam noch die ehemalige Zuchthaus-Marmorfabrik in Diez hinzu, die 1922 durch einen Brand zerstört wurde. Ein eigenes Marmorlager im italienischen Carrara versorgte den Betrieb mit dem gefragten weißen Gesteins, das sogar einem indischen Maharadscha in Tagora geliefert worden sein soll.

Nach 1940 verlegte die Firma ihren Hauptsitz von Wetzlar nach Villmar. Zu den verarbeiteten Werkstoffen gehörten – neben hiesigem Devonstein – Marmor aus Italien, Belgien, Frankreich und Schweden, sowie Granit, Synit, Muschelkalk und andere Gesteinsarten. Die Marmorschleiferei wandelte sich zu einem kunsthandwerklichen Betrieb. Monumentale Säulen entstanden unter den Händen der Arbeiter. Auch Statuen, detailreiche Denkmäler, Grabsteine und edle Tischplatten wurden gefertigt. Zur Herstellung von kostbaren Schmuckstücken, wie Uhrengehäusen, Vasen oder Schreibtischgarnituren für eine betuchte Kundschaft, bezog man den Halbedelstein Onyx sogar aus der Grube "La Peua" in Mexiko.

Das Werk an der Lahn wurde modernisiert. Neue Technik und bis zu 200 Arbeiter ermöglichten die Annahme von Großaufträgen. So wurde auch 1894 an der Marmorbrücke über die Lahn mitgebaut, zur deren Finanzierung D&N mit einer Spende über 15 000 Mark beitrugen. Der Ruf der Nassauischen Marmorfabrik reichte noch weiter: 1892 erhielt sie den Auftrag, das Erbherzogliche Palais in Karlsruhe mit Marmor auszustatten.

Marmor aus Villmar für Großherzog Friedrich II.

Das für Großherzog Friedrich II. (1857-1928) und seine Gemahlin Hilda von Nassau (1864-1952) errichtete Palais konnte nach fünf Jahren Bauzeit eingeweiht werden, doch erst am 23. April 1903 hielten der Erbgroßherzog und seine Gattin in diesem Prachtgebäude Einzug. Rötlich-grauer "Gretenstein" aus Villmar und rötlich-graublauer "Borngrund" aus der Nähe des Bodensteinfelsens schmückten das Innere des Palais.

Rote Marmorsockel mit elektrischen Muschelglühlampen zierten den Durchgang von den Vestibülen zur Galatreppe. Die Türumrandungen im ersten und zweiten Stock wurden aus dem blau-grauem Marmor gefertigt und die glatt geputzten, mit Ölfarben gestrichenen Wände erhielten 85 Zentimeter hohe Konsolen aus dem gleichen Gestein.

Säulen wurden aus dem Villmarer Marmor für den Großherzog gefertigt. Die Eingangshalle bestach durch eine massive Treppe aus "Hauteville-Marmor" sowie 36 monolithischen Säulen und Wandverkleidungen, aber auch Vasenpostamente aus "Gretenstein" und "Borngrund". Im Mansardenstock zierten Marmor-Mosaikarbeiten den Bodenbereich.

Der Erste Weltkrieg hatte für den Monarchen verheerende Folgen. Herzog Friedrich II. flüchtete im November 1918 ins Exil. Vom Palais verblieb ihm nur das Inventar. Das Bauwerk verlor seine Bestimmung und wechselte fortan mehrmals den Besitzer. Von 1933 an nutzten die Nationalsozialisten das Gebäude zur Unterbringung des Reichsarbeitsdienstes. Die Villmarer Marmorsäulen wurden im Treppenhaus von Hakenkreuzfahnen und einer Hitlerbüste aus schwarzem Devongestein flankiert. Im Juli und September 1944 wurde das Palais durch Bombenangriffe der Alliierten erheblich beschädigt. Nach dem Ende des Krieges erinnerte nur noch wenig an die ehemalige Pracht des großherzoglichen Gebäudes. Nur die marmornen Säulen, Pilaster und Balustraden des Galatreppenhauses hatten das Inferno überstanden. Nach dem Wiederaufbau des zerstörten Bauwerkes und der Restaurierung der herrlichen Marmorarbeiten aus dem 19. Jahrhundert wählte im Jahre 1950 der Bundesgerichtshof das historische Gebäude als sein Domizil.

Viel Arbeit, schmaler Lohn
Ein Großprojekt im fernen Berlin beherrschte 1904 die Auftragsbücher der "Nassauischen Marmorwerken". Beträchtliche Mengen des Gesteins aus dem Villmarer Werk, das die Firma Dyckerhoff & Neumann 1892 übernommen hatte, wurden im Berliner Dom verarbeitet.

Den Grundstein für den monumentalen Zentralbau legte Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1894. Der Erbauer des Doms, Julius Karl Raschdorff, verwendete bei der Ausführung des Millionen-Projektes im Inneren des Gebäudes Marmor neben anderen kostbaren Materialien. Massive Türgewände aus rotem Marmor zieren die Haupttüren zur Tauf- und Traukirche, deren Altar ebenfalls aus Lahnmarmor gefertigt ist. Zur Ausstattung des Treppenhauses in der südwestlichen Ecke des Domes bevorzugte der Erbauer ebenfalls den heimischen Marmor. Das für Pilaster, Balustraden und Säulen, Wandverkleidung und Bodenbelag des Treppenhauses verwendete Material stammt aus den Brüchen "Unica A" , "Gretenstein´" und "Bongard" sowie "Schupbach schwarz". Beim Aufgang zur Kaiserlichen Empore präsentierten sich die rotglänzenden Marmorsäulen mit ihren weißen Sedimenten.

Trotz der guten Auftragslage blieben die Löhne der Arbeiter im Nassauischen Marmorwerk bescheiden. Von 1906 bis 1914 lagen sie bei 22 bis 28 Pfennige in der Stunde. Fachkräfte verdienten ein paar Pfennige mehr. Ein Schleifer erhielt pro Stunde 35, ein Säger 30, ein Hauer ganze 40 Pfennige. Ein Verdienst, der aus heutiger Sicht ein Hungerlohn war. Doch die Devise der vielen ungelernten Arbeitskräfte von damals hieß: Lieber ein kläglicher Tageslohn als arbeitslos.

1907 erhielt das Werk einen neuen Großauftrag für die Erweiterung des Kurhauses in Wiesbaden. Die Firma Dyckerhoff & Neumann lieferte alle Marmorarbeiten zur Ausstattung des großen Konzertsaales (Friedrich v. Thirsch-Saal) sowie der Lese- und Konversationszimmer. Der große Saal bekam 24 mächtigen Säulen und 12 quadratischen Eckpfeilern aus Marmor. Dreiteilig zusammengesetzt mit rund sechs Metern Höhe, findet diese Leistung heute noch Bewunderung.

Auch in Villmar wurde gebaut: Eine neue Werkstätte entstand 1907. 1911 ließ die Werksleitung das alte Mühlengebäude umbauen und eine Turbinenanlage einbauen. Von 1912 bis 1914 stattete das Werk die Eingangshalle des Landesmuseum in Wiesbaden mit vielfarbigem Lahnmarmor aus. Zwei Säulen aus Bongard-Marmor flankieren die Brunnenkammer in der Wandelhalle. In einem Verzeichnis der Firma Dyckerhoff & Neumann werden Marmorarbeiten in Kirchen, Schlössern, herrschaftlichen Wohn- und Landhäusern, Hotels, Bädern, Geschäfts- und Warenhäusern, Bahnhöfen und Denkmäler aufgeführt, aber auch Marmor-Ausstattungen in Dampfschiffen der Woermann-Ostafrika-Linie und andere Schifffahrtsgesellschaften festgehalten.

Geschäfte mit Demokraten und Diktatoren

Viele Bauwerke und sogar die Ausstattung von Dampfschiffen standen um 1912 auf der Auftragsliste des Nassauischen Marmorwerks in Villmar. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende Inflationszeit setzten dieser guten Entwicklung ein Ende. Als Ersatz für die Arbeit der Kriegsteilnehmer wurden Mädchen und Frauen zum Schleifen und Polieren eingesetzt. Das Inlandsgeschäft ging nach dem Krieg wegen mangelnder Kaufkraft erheblich zurück.
Die heimische Marmorindustrie richtete ihr Hauptaugenmerk auf jene Länder, erträgliche Einfuhrmöglichkeiten boten. Um 1930 lieferte die Firma Dyckerhoff & Neumann Marmor für das Kapitol in New-Orleans im US-Bundesstaat Lousiana, sowie 70 Kubikmeter "Famosa" und 200 Kubikmeter Gaudernbacher Marmor zur Ausstattung des Empire State Buildings in New York. Damals müssen amerikanische Experten vor Bestellung des Marmors in Europa, also auch in Villmar, das Rohmaterial besichtigt haben, bevor Natursteine von der New Yorker Fachfirma "William Braedley & Son" im Innen- und Außenbereich angebracht wurden.

Das Marmorwerk machte allerdings nicht nur Geschäfte mit der ältesten Demokratie der Welt. Auch die Nationalsozialisten begannen sich nach ihrer Machtergreifung für den Marmor von der Lahn zu interessieren. Schließlich hatte das Regime große Pläne für Prunk- und Protzbauten. Hitlers Architekt Albert Speer besuchte mit einem Stab von zehn Uniformierten 1936 das Nassauische Marmorwerk, das einst von einem jüdischen Unternehmer gegründet worden war, und überzeugte sich vor Ort von der Qualität des Marmors.
Zu Speers Empfang wurde ein großes Transparent im Betriebsgelände mit der Beschriftung aufgestellt: "Die Jugend des Werkes steht geschlossen hinter dem Führer Adolf Hitler, nur eine nicht !" Und diese eine war Barbara Müller, im Volksmund genannt "Schouster Millersch Babi" aus der Lahnstraße in Villmar, die seit 1934 in der Firma als Angestellte tätig war. Inzwischen zur Sekretärin des Firmeninhabers Hermann Neumann avanciert, musste ausgerechnet sie den Nazigrößen den Kaffee servieren. Nach dieser Inspektion erhielt die Firma Großaufträge für Repräsentationsgebäude des Dritten Reiches. Nur deutscher Marmor sollte in den Prachtbauten glänzen und deutschen Firmen Aufschwung geben.

Eines dieser Vorzeigeprojekte war der neue Flughafen in Frankfurt. Im Mai 1936, rechtzeitig zum Olympiajahr, wurde dort der Flugverkehr aufgenommen. Das Flugfeld wurde prunkvoll ausgestattet. Speer bestellte bei der Nassauischen Marmorfabrik, Dyckerhoff & Neumann,


Eröffnung des Rhein -Main Flughafens 1936 


eine Stele aus grauem Schupbacher Marmor "Famosa" in der Höhe von 8.50 Metern. Das Monument wurde mit dem Hoheitszeichen, einem Adler mit Hakenkreuz, gekrönt. In den Kriegstagen war die Stele trotz mehrfacher Bombardierung des Flughafengeländes mit mehr als 2000 Bomben sowie Sprengungen bei Rückzugsgefechten der deutschen Wehrmacht verschont geblieben. Nach dem Krieg kam die Wende. Das NS-Symbol hatte ausgedient und musste verschwinden. Zwei Kranwagen wurden benötigt, um den Adler des "Tausendjährigen Reiches" von der Marmorstele zu entfernen. Nach dem Wiederaufbau des Flughafens und dem Neuanfang des Luftverkehrs, hatten Deutsche erstmals am 2. März 1948 die Gelegenheit, nach Berlin zu fliegen. Ein Grund, das erhalten gebliebene Marmorwerk auf dem Flugplatzgelände mit einer Weltkugel und der Friedenstaube zu versehen, als Symbol eines zukünftigen friedlichen, europäischen und internationalen Frankfurter Lufthafens als "Tor zur Welt". Was Bombenhagel im Krieg nicht vermochte, schafften später die Verantwortlichen des Flughafens. Offensichtlich stand den Planern der Erweiterung um 1965 die Stele im Weg. Nach Mitteilung des zuständigen Leiters der Luftfahrt-Historischen Sammlung, Dr. Wurstrack "landete" damals die Friedenstaube in einem gesicherten Verwahr, während die Marmorstele einfach verschrottet wurde.

1937 erwarb die Firma Dyckerhoff & Neumann einen Teil des Betriebsgeländes und Werksanlagen der ehemaligen Firma „Gebr. May“ in der Oberau. Wegen des naheliegenden Bahnanschlusses wurde dort 1938 ein neue Arbeitshalle errichtet und Lageraum für Marmorblöcke und -platten geschaffen. Genannt seien Marmorarbeiten, die in den Jahren 1936 bis 1940 in Berlin getätigt wurden: das Luftfahrtministerium, die Reichskanzlei, die Deutsche Bank sowie das Stadion, in Nürnberg die Siegeshalle, in Limburg der Bau der Autobahnbrücke. Hierbei wurde als Werkstoff neben dem heimischen Marmor auch Marmor aus anderen Teilen Deutschlands verwendet. Mächtige Steinquader aus Marmor lagen noch zur Verarbeitung vor Ort, als sie nach dem Zusammenbruch Deutschlands 1945 von der US-Regierung beschlagnahmt wurden.

Im Kriegsjahr 1944 bis Kriegsende wurde ein Teil der Fabrik- und Lagerhallen des Marmorwerkes von den Vereinigten Deutschen Metallwerken Frankfurt/Main (VDM) beschlagnahmt und als Ersatzteillager für die Luftwaffe genutzt. Werksangehörige der Firma D&N kamen als Arbeitskräfte für diese Rüstungsfirma zum Einsatz. Die Gemeindeeigenen Marmorbrüche rechts der Lahn wurden von der Wehrmacht ebenfalls beschlagnahmt und zum Sperrgebiet erklärt. Nach der Einzäunung des über 52 000 qm großen Areals errichtete die Wehrmacht Baracken als Behausung für ca. 400 Angehörige, die dort mit der Herstellung technischer Gase für die „Wunderwaffe V 2“ beauftragt waren. Als Lagerstätte dienten in die Felsenwand Richtung Schadeck gesprengte Tunnels. Ein Teil davon wurde beim Abbau der Kalksteine durch die Firma Krupp  nach dem Kriege entfernt. Tunnelreste sind heute noch vorhanden. 

Weitere Nachforschungen ergaben, dass viele Marmorarbeiten der Firma Dyckerhoff & Neumann durch Kriegseinwirkungen vernichtet oder später durch Umbau entfernt wurden, darunter das Reichstagsgebäude in Berlin, das Luftfahrtministerium, die Naziprunkstätten in Nürnberg, Hotels und Bahnhöfe. Nach dem Krieg und dem Wiederaufbau von Kirchen, Schlössern, Villen und öffentlichen Gebäuden führte die Firma Dyckerhoff & Neumann vorwiegend Restaurierungsarbeiten aus. Sie lieferte um 1960 für Restaurierungsarbeiten in der Eremitage nach St. Petersburg 60 Kisten geschnittene Lahnmarmorplatten.

1953 Arbeiter des Unternehmens gratulieren dem Firmenchef Hermann Neumann zum Bundesverdienstkreuz

Im Jahre 1967 sind zu nennen die Arbeiten im Chorraum des Würzbürger Domes mit Altar, Fußboden, Sitzbänken und Sakramentshaus aus grauem Schupbacher „Famosa“ Marmor. Als einen der letzten Großaufträge übernahm die Firma 1974 die Wiedererrichtung des durch Kriegseinwirkung zerstörten Marmorsaales im Schloss Bruchsal mit den Werkstoffen „Unica“ und „Bongard“. Nach dem Tode des Firmenchef Hermann Neumann (*1877 + 1965) übernahm dessen Enkel Hermann Gruhn (*22.9.1930) die Weiterführung des Werkes als Geschäftsführer bis zu seinem frühen Tode am 6.9.1977 durch einen Verkehrsunfall. Die Firma, die sich zuletzt „Dyckerhoff & Neumann KG Marmor- und Natursteinwerk, Nassauische Marmorwerke Villmar/Lahn“ nannte, stellte im Februar 1979 den Konkursantrag. Am 1. September des gleichen Jahres schlossen sich die Tore der „Nassauischen Marmorwerke“ für immer. Während die Gemeinde Villmar die Fabrikanlagen links der Lahn übernahm und die alte Fabrik abriss, um Platz für die König- Konrad-Halle zu schaffen, erwarb die Steinverarbeitungsfirma Emmerich/Hillen aus der Eifel die Werksanlagen „Überlahn“ in der Oberau sowie vier  firmeneigene Marmorbrüche in Schupbach.

 Ende der Ära